EDIT 02.03. Bilder eingefügt, youtube-Links eingefügt, Text leicht überarbeitet
Puh! Es hat ein paar Tage gedauert bis ich die auf mir
liegende, bleierne Trägheit überwunden habe. Daher gibt es erst heute meinen
Bericht zum letzten Samstag…
12h auf einem 1400 Meter langen Rundkurs „Indoor“ im Kreis
fahren. Das hört sich im ersten Moment nicht sonderlich spannend an. Treibt es
uns Mountainbiker doch eigentlich ehr raus auf ausgedehnte Touren in der Natur.
Außerdem ist Ende Februar auch recht früh in der Saison für eine solch lange
Fahrzeit. Dennoch ging für mich ein unwiderstehlicher Reiz von dieser
Veranstaltung aus.
Auch um die Trainingsmotivation über den Winter hoch zu
halten meldete ich mich bereits vor Monaten zu diesem Event an. Und es
funktionierte: Regen, Kälte und Dunkelheit, welche sonst zur Suche nach
Ausreden für Trainingspausen herhielten konnten mir dieses Jahr nichts anhaben.
Ich hatte Ende Februar noch nie so viele Trainingskilometer in den Beinen!
So ging es am 25.02.2012 um 4:00 Uhr Morgens auf die
Autobahn mit Ziel Rotenburg an der Fulda. Mit an Bord
mein frisch geputztes Rad,
eine Randvoll gepackte Tasche mit Kleidung, Riegeln,
Ersatzmaterial und Duschzeug,
meinem Vater als Betreuer und Fahrer für den Rückweg sowie
dem kühnen, verwegenen und „geheimen“ Plan in die Top10 fahren zu wollen…
Nach der Ankunft, einer schnellen und reibungslosen
Anmeldung wurde schnell mein Drahtesel gesattelt, um noch vor dem Startschuss um
8:00 Uhr eine Proberunde auf der Stecke fahren zu können.
Direkt nach dem Start geht es heraus aus der angenehm warmen
Halle in die morgendliche, graue und noch etwas nebelige Kühle. Einige
Strohballenbarrikaden verhindern eine zu starke Beschleunigung auf der
abschüssigen „Geraden“. Grund dafür ist ein 170 Grad Kehre am Ende. Es geht vom
Teer auf einen leicht schlammigen Boden.
Nach der ersten von vielen weiteren
Kehrtwenden geht es in einen kurzen, steilen Downhill. Der Untergrund ist jedoch
gut und man kann das Rad im unteren Teil einfach rollen lassen. Am Ende biegt man jedoch auf
einen schmalen Gang zwischen Parkhauswand und Geländer ein. Dies alleine ließe
noch ein hohes Tempo zu, doch der Boden ist spiegelglatt. Hier und in den
beiden folgenden (immer noch engen) zwei 90 Grad Kurven werden in den ersten
Runden zahlreiche Stürze folgen.
Eine weitere 180 Grad Kehre führt in die unterste Etage
des Parkhauses. Nun heißt es sich langsam auf den folgenden 4 Halbetagen nach
oben zu arbeiten, ohne das einem bei dem mit Flatterband abgesperrten
Zickzackkurs schwindelig wird. Über eine eigentlich nur kurze Rampe geht es
wieder ans Tageslicht. Die Einstellung zum Wort "kurz" wird sich im Laufe der
folgenden 12 Stunden jedoch noch ganz gewaltig relativieren…
Zunächst folgen weitere Geraden. Dazwischen jedoch wieder
180 Grad Kehren. Wie gut, das ich zu Hause noch die Bremsklötze meiner
Scheibenbremsen erneuert hatte. Nun folgt eine Abfahrt über einen eigens für
heute gebuddelten Singeltrail dem sich eine schlammige Wiesenabfahrt
anschließt. Hier werden heute noch Knochen zu Bruch gehen und Deutsche
Meisterschaftsträume zerstört…
Nach der Wiese geht es unter einem Haus hindurch, dahinter
eine zweite (im Laufe des Tages immer fieser werdende) Rampe zum Hoteleingang
hinauf und (man staune) durch die Türe hinein direkt in die Hotellobby.
Dahinter ist wieder die Sportarena mit den Teamboxen, der Wechselzone und dem
Start/Ziel-Bereich zu erkennen. Was hier mit vielen Worten beschrieben ist,
sind „eigentlich“ nur 1400 Meter mit 40 Höhenmetern.
Hier zwei youtube-Links zu Videos auf denen der Steckenverlauf zu sehen ist:
Team Overload
ReinNeckarRacing
Nervös warte ich auf den Start, als Rookie bei einem solchen
12h-Event kann ich noch nicht 100%ig einschätzen was mich gleich erwartet…
Um Punkt 8:00 Uhr werden wir 23 Solostarter auf die Reise
geschickt.
Danach jeweils mit 20 Sekunden Abstand die Startfahrer der 2er, 4er und 6er Teams.
Wem es nicht schon während der Streckenbesichtigung klar wurde,
merkt es spätestens nun: Die Überholmöglichkeiten sind rar. Schnell fädelt sich
alles in einer langen Reihe ein und jedes Überholmanöver ist ein kurzer
Zwischensprint. Zumindest bis uns Solofahrer nacheinander die 2er, 4er und 6er
Fahrer aufholen. Ab jetzt wird es hektisch. Die Teamfahrer fahren die wenigen
Runden ihres „Turns“ mit Puls am Anschlag. Da sind wir Solofahrer nur
„hinderliche Bremsklötze“ auf der Stecke.
Für mich kommt hinzu, dass ich mich erst an das Gefühl des
ständigen „Überholtwerdens“ gewöhnen muss. Jedes mal fühle ich mich dazu verleitet
mich in den Windschatten zu hängen. Doch das ist viel zu schnell für mich. Ich
kann mich nicht in 3 oder 4 Runden vom Folgefahrer ablösen lassen. Mein Puls
knackt die 180er-Grenze… Ich darf eigentlich nicht mehr als mit 150er vielleicht 160er fahren. Ich ermahne mich selbst zur Ruhe! Doch es nutzt nichts.
Immer wenn ich auf die Pulsuhr schaue: Viel zu hoch.
Das ganze Fahrerfeld ist hektisch und nervös. Ich sehe
zahlreiche Stürze. Schwerpunkte sind die Wiesenabfahrt in der sich bereits
jetzt bodenlose Löscher auftuen und der teuflisch glatte Engpass kurz vor der
Tiefgarageneinfahrt. Hier rutscht auch mir einmal das Vorderrad weg. Im letzten
Moment bekomme ich ein Bein auf dem Boden und kann so den Sturz verhindern.
Doch noch in derselben Runde passiert es dann. Nach der Wiesenabfahrt höre ich
Fahrer hinter mir, ich mache vor der Rampe hoch zum Hotel einen Schlenker nach
links um die Ideallinie freizugeben und die Schnelleren vorbeizulassen. Der
Fahrer hinter mir hatte es jedoch noch eiliger als ich dachte und wollte schon hier überholen. Es
kommt was kommen muss, unsere Lenker verhaken sich und in Rennminute 29 gehen wir
beiden Kopfüber über den Lenker und landen unsanft auf den Plastersteinen.
Ich kann ihm nicht die Schuld in die Schuhe schieben, auch
ich hätte vor dem Schlenker einen Schulterblick machen sollen. Ich rappele mich
auf, prüfe das Rad und springe zurück in den Sattel. Das durch meinen Körper
gepumpte Adrenalin lässt aktuell kein Schmerzempfinden zu. Auch der andere Fahrer
scheint unverletzt. Seinem Vorderrad entweicht jedoch laut zischend die Luft.
Doch es ist ein Fahrer aus einem 4er Team und so quält er seine Felge
rücksichtslos die Steigung hinauf ins Hotel zur nahen Wechselzone.
Ich selber gehe auf die nächsten Runden. Endlich bekomme ich
meinen Puls in den Griff. Doch auch das Adrenalin wird abgebaut und die
Nachwirkungen des Sturzes setzen ein. Ich merke ein unangenehmes „Ziehen“ im Nacken- und Schulterbereich,
welches auch in den nächsten elfeinhalb Stunden (genaugenommen auch in den nächsten Tagen) nicht nachlassen wird. Unter
dem Stoff von Trikot und langer Radhose vermute ich je eine Schürfwunden am
rechten Knie und am linken Ellenbogen. Außerdem wird in meinem Gehirn Platz für „Vernunft“. Setze
ich meine gute Frühjahrsform hier zu sehr aufs Spiel? Die Saison ist noch jung,
die Liste mit geplanten Veranstaltungen noch lang…
Doch der Veranstalter regiert schnell und effektiv. An der
Wiesenabfahrt werden 2 Personen mit Spaten platziert, welche in den nächsten
Stunden unermüdlich die Löscher stopfen, die schlimmsten Fahrrillen glätten und
sogar Sträucher „abholzen“ und neuen Raum zu schaffen.
Am zweiten
Unfallschwerpunkt (dem Engpass vor der Tiefgarage) werden Gummimatten
ausgelegt. Ab sofort reicht dort der Grip um sicher um die Ecken zu kommen. Sofort
lässt die Zahl der Stürze schlagartig nach und geht auf ein „normales“ Maß
zurück. Meine Stimmung hebt sich und die Gedanken an eine frühzeitige Aufgabe
sind graue, beiseite gewischte Vergangenheit.
Die ersten 3 Stunden sind herum und es wird Zeit sich einmal
über den aktuellen Stand im Rennen zu informieren. Es gibt zwar eine
Videoprojektion im Start/Zielbereich mit dem aktuellen Rennstand, doch den kann
ich unmöglich in schneller Vorbeifahrt lesen. Mein Vater versorgt mich also per
Zuruf mit Informationen: Aktuell Platz 13. Wenn man bedenkt, das ich viel zu
schnell gestartet bin und Tempo herausnehmen musste, so ist Platz 13 etwas
enttäuschend. Zumindest wenn man in die Top 10 möchte…
Doch es nutzt alles nichts, mehr ist im Moment nicht drin
und ich muss wohl einsehen, dass auch die anderen heute gute Beine haben. Da es
meine 12h-Premiere ist, nehme ich das nicht allzu schwer und entschließe mich
„mein Ding“ zu fahren.
Im Feld ist inzwischen Routine eingekehrt. Jeder kennt die
Stecke, man weiß wo man überholen kann und wo nicht. Ich habe einen riesigen
Respekt vor dem Teamfahrern die um jede Sekunde sprinten und dennoch an den
Engpässen die Geduld aufbringen und bis zur nächsten Überholmöglichkeit warten.
(An dieser Stelle mal ein fettes „Thumps Up“ an die Teamfahrer!)
Zum Überholen werden in erster Linie die beiden Rampen raus
aus der Tiefgarage bzw. rauf zum Hoteleingang genutzt. Während bei mir im
Rennverlauf die Versuchung immer größer wird hier mal vorne auf das kleine
Ritzel zu schalten, erzeugen die Stollenreifen der Teamfahrer beim Überholen
das bekannte „Hummelbrummen“ auf dem glatten Boden während sie regelrecht an
mir vorbeifliegen…
Doch nicht nur Teams überholen mich ständig. Die TOP3 der
Solofahrer nehmen mir Runde um Runde ab. Es ist einfach unglaublich mit welchem
Schnitt die (hier der spätere Sieger) Ihre Bahnen ziehen…
Irgendwann ist die 1. Rennhälfte geschafft, ich mache eine
kurze „Nudelesspause“ um neben den an der Verpflegungsstelle gereichten
Riegeln, Bananen und Äpfel mal etwas Warmes in den Bauch zu bekommen. Die
Spitzenfahrer lassen das „Nudelbuffet“ links liegen und bauen ihren Vorsprung
auf den Rest des Feldes unerbittlich aus.
Nach ca. 15 Minuten steige ich wieder aufs Rad und suche
erneut nach meinen Rhythmus der sich auf dem verwinkelten Kurs einfach nicht
einstellen will. Die Zeit kriecht endlos langsam dahin. Ständig erwische ich
mich dabei auf die Uhr auf meinem Tacho zu schauen. Irgendwann stelle ich
diesen einfach um auf die Kilometeranzeige. Diese ist heute
uninteressant und so blicke ich nicht mehr weiter darauf.
Vom Steckenrand erhalte ich die Information: Platz 12, 1
Runde Rückstand auf Platz 11. Hoppla, hat da jemand länger Mittagspause gemacht
als ich? Bewusst auf der Stecke habe ihn jedenfalls nicht überholt, doch das
muss nichts heißen. Dafür gibt es hier zu viele Überhohlvorgänge. Ich schöpfe
neue Motivation und versuche ausreichend Zug auf der Kette zu halten.
Nach 9 Stunden erhalten ich dann gar die Information: Jetzt
Platz 11! Wahnsinn! Ist es doch noch möglich meinen „geheimen“ Traumplatz zu
erreichen? TOP10 bei „Deutschen Meisterschaften“ hört sich doch toll an? ;-)
Doch in der nächsten Runde dann die Info: Platz 10 hat 8
Runden Vorsprung. Es ist die Startnummer 1030. Ich weiß wer es ist. Er hat mich
die letzte Zeit mindestens 2x überrundet, d.h. er ist aktuell deutlich stärker
als ich und 8 Runden sind schon eine ordentliche Hausnummer. So lautet die neue
Taktik ab sofort: Nach hinten verteidigen. Das wird eh schwierig genug. Gleich
3 Fahrer sitzen mir mit 2-3 Runden Rückstand im Nacken.
So unterdrücke ich den wachsenden Wunsch noch einmal kurz
vom Rad zu steigen, quetsche mir ein weiteres Energie-Gel in den Mund und hole
alles aus den Beinen was noch geht. Der Abstand nach hinten bleibt konstant
und irgendwann ist klar, das ich meinen Platz halten kann. Das ist gut für meine
Moral und ich kann das Tempo bis zum Schluss halten.
Die letzten Runden macht
der Moderator in der Halle richtig Stimmung und es ist ein Wahnsinns gefühlt
von den Zuschauern in die nächste Runde gepeitscht zu werden. Hinzu kommt das
innere Hochgefühl dem inneren Schweinehund ordentlich in den Hintern getreten
zu haben. 12-Stunden „nonstopp“ auf dem Rad. Ich kann es selber kaum glauben…
und ich finde Platz 11 bei den „Deutschen
Meisterschaften 12h Indoor“ hört auch schon verdammt gut an!
Achja, der gleiche Veranstalter bietet im April ein weiteres
12h-Rennen an… hm, ich muss mal meinen Terminkalender zücken und prüfen ob da
nicht noch irgendwie Platz zu schaffen ist für einen weiteren Event… Ich glaube
ich habe „Blut geleckt“…