Mittwoch, 29. Februar 2012

Deutsche Meisterschaft 12h „Indoor“ in Rotenburg an der Fulda





EDIT 02.03. Bilder eingefügt, youtube-Links eingefügt, Text leicht überarbeitet

Puh! Es hat ein paar Tage gedauert bis ich die auf mir liegende, bleierne Trägheit überwunden habe. Daher gibt es erst heute meinen Bericht zum letzten Samstag…

12h auf einem 1400 Meter langen Rundkurs „Indoor“ im Kreis fahren. Das hört sich im ersten Moment nicht sonderlich spannend an. Treibt es uns Mountainbiker doch eigentlich ehr raus auf ausgedehnte Touren in der Natur. Außerdem ist Ende Februar auch recht früh in der Saison für eine solch lange Fahrzeit. Dennoch ging für mich ein unwiderstehlicher Reiz von dieser Veranstaltung aus.

Auch um die Trainingsmotivation über den Winter hoch zu halten meldete ich mich bereits vor Monaten zu diesem Event an. Und es funktionierte: Regen, Kälte und Dunkelheit, welche sonst zur Suche nach Ausreden für Trainingspausen herhielten konnten mir dieses Jahr nichts anhaben. Ich hatte Ende Februar noch nie so viele Trainingskilometer in den Beinen!

So ging es am 25.02.2012 um 4:00 Uhr Morgens auf die Autobahn mit Ziel Rotenburg an der Fulda. Mit an Bord
  • mein frisch geputztes Rad,
  • eine Randvoll gepackte Tasche mit Kleidung, Riegeln, Ersatzmaterial und Duschzeug,
  • meinem Vater als Betreuer und Fahrer für den Rückweg sowie
  • dem kühnen, verwegenen und „geheimen“ Plan in die Top10 fahren zu wollen…
Nach der Ankunft, einer schnellen und reibungslosen Anmeldung wurde schnell mein Drahtesel gesattelt, um noch vor dem Startschuss um 8:00 Uhr eine Proberunde auf der Stecke fahren zu können.

Direkt nach dem Start geht es heraus aus der angenehm warmen Halle in die morgendliche, graue und noch etwas nebelige Kühle. Einige Strohballenbarrikaden verhindern eine zu starke Beschleunigung auf der abschüssigen „Geraden“. Grund dafür ist ein 170 Grad Kehre am Ende. Es geht vom Teer auf einen leicht schlammigen Boden.



Nach der ersten von vielen weiteren Kehrtwenden geht es in einen kurzen, steilen Downhill. Der Untergrund ist jedoch gut und man kann das Rad im unteren Teil einfach rollen lassen. Am Ende biegt man jedoch auf einen schmalen Gang zwischen Parkhauswand und Geländer ein. Dies alleine ließe noch ein hohes Tempo zu, doch der Boden ist spiegelglatt. Hier und in den beiden folgenden (immer noch engen) zwei 90 Grad Kurven werden in den ersten Runden zahlreiche Stürze folgen.


Eine weitere 180 Grad Kehre führt in die unterste Etage des Parkhauses. Nun heißt es sich langsam auf den folgenden 4 Halbetagen nach oben zu arbeiten, ohne das einem bei dem mit Flatterband abgesperrten Zickzackkurs schwindelig wird. Über eine eigentlich nur kurze Rampe geht es wieder ans Tageslicht. Die Einstellung zum Wort "kurz" wird sich im Laufe der folgenden 12 Stunden jedoch noch ganz gewaltig relativieren…

Zunächst folgen weitere Geraden. Dazwischen jedoch wieder 180 Grad Kehren. Wie gut, das ich zu Hause noch die Bremsklötze meiner Scheibenbremsen erneuert hatte. Nun folgt eine Abfahrt über einen eigens für heute gebuddelten Singeltrail dem sich eine schlammige Wiesenabfahrt anschließt. Hier werden heute noch Knochen zu Bruch gehen und Deutsche Meisterschaftsträume zerstört…

Nach der Wiese geht es unter einem Haus hindurch, dahinter eine zweite (im Laufe des Tages immer fieser werdende) Rampe zum Hoteleingang hinauf und (man staune) durch die Türe hinein direkt in die Hotellobby. Dahinter ist wieder die Sportarena mit den Teamboxen, der Wechselzone und dem Start/Ziel-Bereich zu erkennen. Was hier mit vielen Worten beschrieben ist, sind „eigentlich“ nur 1400 Meter mit 40 Höhenmetern.



Hier zwei youtube-Links zu Videos auf denen der Steckenverlauf zu sehen ist:
Team Overload
ReinNeckarRacing

Nervös warte ich auf den Start, als Rookie bei einem solchen 12h-Event kann ich noch nicht 100%ig einschätzen was mich gleich erwartet…

Um Punkt 8:00 Uhr werden wir 23 Solostarter auf die Reise geschickt.


Danach jeweils mit 20 Sekunden Abstand die Startfahrer der 2er, 4er und 6er Teams.
Wem es nicht schon während der Streckenbesichtigung klar wurde, merkt es spätestens nun: Die Überholmöglichkeiten sind rar. Schnell fädelt sich alles in einer langen Reihe ein und jedes Überholmanöver ist ein kurzer Zwischensprint. Zumindest bis uns Solofahrer nacheinander die 2er, 4er und 6er Fahrer aufholen. Ab jetzt wird es hektisch. Die Teamfahrer fahren die wenigen Runden ihres „Turns“ mit Puls am Anschlag. Da sind wir Solofahrer nur „hinderliche Bremsklötze“ auf der Stecke.

Für mich kommt hinzu, dass ich mich erst an das Gefühl des ständigen „Überholtwerdens“ gewöhnen muss. Jedes mal fühle ich mich dazu verleitet mich in den Windschatten zu hängen. Doch das ist viel zu schnell für mich. Ich kann mich nicht in 3 oder 4 Runden vom Folgefahrer ablösen lassen. Mein Puls knackt die 180er-Grenze… Ich darf eigentlich nicht mehr als mit 150er vielleicht 160er fahren. Ich ermahne mich selbst zur Ruhe! Doch es nutzt nichts. Immer wenn ich auf die Pulsuhr schaue: Viel zu hoch.

Das ganze Fahrerfeld ist hektisch und nervös. Ich sehe zahlreiche Stürze. Schwerpunkte sind die Wiesenabfahrt in der sich bereits jetzt bodenlose Löscher auftuen und der teuflisch glatte Engpass kurz vor der Tiefgarageneinfahrt. Hier rutscht auch mir einmal das Vorderrad weg. Im letzten Moment bekomme ich ein Bein auf dem Boden und kann so den Sturz verhindern. Doch noch in derselben Runde passiert es dann. Nach der Wiesenabfahrt höre ich Fahrer hinter mir, ich mache vor der Rampe hoch zum Hotel einen Schlenker nach links um die Ideallinie freizugeben und die Schnelleren vorbeizulassen. Der Fahrer hinter mir hatte es jedoch noch eiliger als ich dachte und wollte schon hier überholen. Es kommt was kommen muss, unsere Lenker verhaken sich und in Rennminute 29 gehen wir beiden Kopfüber über den Lenker und landen unsanft auf den Plastersteinen.

Ich kann ihm nicht die Schuld in die Schuhe schieben, auch ich hätte vor dem Schlenker einen Schulterblick machen sollen. Ich rappele mich auf, prüfe das Rad und springe zurück in den Sattel. Das durch meinen Körper gepumpte Adrenalin lässt aktuell kein Schmerzempfinden zu. Auch der andere Fahrer scheint unverletzt. Seinem Vorderrad entweicht jedoch laut zischend die Luft. Doch es ist ein Fahrer aus einem 4er Team und so quält er seine Felge rücksichtslos die Steigung hinauf ins Hotel zur nahen Wechselzone.


Ich selber gehe auf die nächsten Runden. Endlich bekomme ich meinen Puls in den Griff. Doch auch das Adrenalin wird abgebaut und die Nachwirkungen des Sturzes setzen ein. Ich merke ein unangenehmes „Ziehen“ im Nacken- und Schulterbereich, welches auch in den nächsten elfeinhalb Stunden (genaugenommen auch in den nächsten Tagen) nicht nachlassen wird. Unter dem Stoff von Trikot und langer Radhose vermute ich je eine Schürfwunden am rechten Knie und am linken Ellenbogen. Außerdem wird in meinem Gehirn Platz für „Vernunft“. Setze ich meine gute Frühjahrsform hier zu sehr aufs Spiel? Die Saison ist noch jung, die Liste mit geplanten Veranstaltungen noch lang…

Doch der Veranstalter regiert schnell und effektiv. An der Wiesenabfahrt werden 2 Personen mit Spaten platziert, welche in den nächsten Stunden unermüdlich die Löscher stopfen, die schlimmsten Fahrrillen glätten und sogar Sträucher „abholzen“ und neuen Raum zu schaffen.


Am zweiten Unfallschwerpunkt (dem Engpass vor der Tiefgarage) werden Gummimatten ausgelegt. Ab sofort reicht dort der Grip um sicher um die Ecken zu kommen. Sofort lässt die Zahl der Stürze schlagartig nach und geht auf ein „normales“ Maß zurück. Meine Stimmung hebt sich und die Gedanken an eine frühzeitige Aufgabe sind graue, beiseite gewischte Vergangenheit.

Die ersten 3 Stunden sind herum und es wird Zeit sich einmal über den aktuellen Stand im Rennen zu informieren. Es gibt zwar eine Videoprojektion im Start/Zielbereich mit dem aktuellen Rennstand, doch den kann ich unmöglich in schneller Vorbeifahrt lesen. Mein Vater versorgt mich also per Zuruf mit Informationen: Aktuell Platz 13. Wenn man bedenkt, das ich viel zu schnell gestartet bin und Tempo herausnehmen musste, so ist Platz 13 etwas enttäuschend. Zumindest wenn man in die Top 10 möchte…

Doch es nutzt alles nichts, mehr ist im Moment nicht drin und ich muss wohl einsehen, dass auch die anderen heute gute Beine haben. Da es meine 12h-Premiere ist, nehme ich das nicht allzu schwer und entschließe mich „mein Ding“ zu fahren.

Im Feld ist inzwischen Routine eingekehrt. Jeder kennt die Stecke, man weiß wo man überholen kann und wo nicht. Ich habe einen riesigen Respekt vor dem Teamfahrern die um jede Sekunde sprinten und dennoch an den Engpässen die Geduld aufbringen und bis zur nächsten Überholmöglichkeit warten. (An dieser Stelle mal ein fettes „Thumps Up“ an die Teamfahrer!)


Zum Überholen werden in erster Linie die beiden Rampen raus aus der Tiefgarage bzw. rauf zum Hoteleingang genutzt. Während bei mir im Rennverlauf die Versuchung immer größer wird hier mal vorne auf das kleine Ritzel zu schalten, erzeugen die Stollenreifen der Teamfahrer beim Überholen das bekannte „Hummelbrummen“ auf dem glatten Boden während sie regelrecht an mir vorbeifliegen…

Doch nicht nur Teams überholen mich ständig. Die TOP3 der Solofahrer nehmen mir Runde um Runde ab. Es ist einfach unglaublich mit welchem Schnitt die (hier der spätere Sieger) Ihre Bahnen ziehen…


Irgendwann ist die 1. Rennhälfte geschafft, ich mache eine kurze „Nudelesspause“ um neben den an der Verpflegungsstelle gereichten Riegeln, Bananen und Äpfel mal etwas Warmes in den Bauch zu bekommen. Die Spitzenfahrer lassen das „Nudelbuffet“ links liegen und bauen ihren Vorsprung auf den Rest des Feldes unerbittlich aus.

Nach ca. 15 Minuten steige ich wieder aufs Rad und suche erneut nach meinen Rhythmus der sich auf dem verwinkelten Kurs einfach nicht einstellen will. Die Zeit kriecht endlos langsam dahin. Ständig erwische ich mich dabei auf die Uhr auf meinem Tacho zu schauen. Irgendwann stelle ich diesen einfach um auf die Kilometeranzeige. Diese ist heute uninteressant und so blicke ich nicht mehr weiter darauf.

Vom Steckenrand erhalte ich die Information: Platz 12, 1 Runde Rückstand auf Platz 11. Hoppla, hat da jemand länger Mittagspause gemacht als ich? Bewusst auf der Stecke habe ihn jedenfalls nicht überholt, doch das muss nichts heißen. Dafür gibt es hier zu viele Überhohlvorgänge. Ich schöpfe neue Motivation und versuche ausreichend Zug auf der Kette zu halten.

Nach 9 Stunden erhalten ich dann gar die Information: Jetzt Platz 11! Wahnsinn! Ist es doch noch möglich meinen „geheimen“ Traumplatz zu erreichen? TOP10 bei „Deutschen Meisterschaften“ hört sich doch toll an? ;-)

Doch in der nächsten Runde dann die Info: Platz 10 hat 8 Runden Vorsprung. Es ist die Startnummer 1030. Ich weiß wer es ist. Er hat mich die letzte Zeit mindestens 2x überrundet, d.h. er ist aktuell deutlich stärker als ich und 8 Runden sind schon eine ordentliche Hausnummer. So lautet die neue Taktik ab sofort: Nach hinten verteidigen. Das wird eh schwierig genug. Gleich 3 Fahrer sitzen mir mit 2-3 Runden Rückstand im Nacken.


So unterdrücke ich den wachsenden Wunsch noch einmal kurz vom Rad zu steigen, quetsche mir ein weiteres Energie-Gel in den Mund und hole alles aus den Beinen was noch geht. Der Abstand nach hinten bleibt konstant und irgendwann ist klar, das ich meinen Platz halten kann. Das ist gut für meine Moral und ich kann das Tempo bis zum Schluss halten.

Die letzten Runden macht der Moderator in der Halle richtig Stimmung und es ist ein Wahnsinns gefühlt von den Zuschauern in die nächste Runde gepeitscht zu werden. Hinzu kommt das innere Hochgefühl dem inneren Schweinehund ordentlich in den Hintern getreten zu haben. 12-Stunden „nonstopp“ auf dem Rad. Ich kann es selber kaum glauben…  und ich finde Platz 11 bei den „Deutschen Meisterschaften 12h Indoor“ hört auch schon verdammt gut an!



Achja, der gleiche Veranstalter bietet im April ein weiteres 12h-Rennen an… hm, ich muss mal meinen Terminkalender zücken und prüfen ob da nicht noch irgendwie Platz zu schaffen ist für einen weiteren Event… Ich glaube ich habe „Blut geleckt“…